Aktiv Radrennen im Wohnzimmer?

Geht nicht, gibt´s nicht – so könnte man das sagen, denn die neueste Form des Indoor Trainings lässt ungeahnte Möglichkeiten zu, seine Form für echte Radrennen in den Wintermonaten zu basteln, ohne sich bei Regen und Kälte auf Straße oder Gelände zu quälen. Dazu lesen Se den ausführlichen Bericht aus der Gießener Allgemeinen  Zeitung von Ronny Herteux..

RADFAHREN IM INTERNET

Absolut echt in virtueller Zwift-Welt

  • Ronny Herteux

    vonRonny Herteux
    Stumpfsinnige Langeweile war einmal, heutzutage wird über den Winter hinweg in der virtuellen Welt trainiert. Allerdings mit und gegen echte Gegner. Wie Alexander Koop.
Winterzeit ist für viele Outdoor-Sportler auch Trainingszeit. Zumindest jene Zeit, um die Grundlagen für die kommende Saison zu legen. Da haben es beispielsweise die Fahrradfahrer schon schwer, ein umfangreiches Trainingspensum auf Asphalt abspulen zu können. Nicht nur witterungsbedingt durch Kälte und Feuchtigkeit, auch die früh einsetzende Dunkelheit lädt schon aus sicherheitstechnischen Gründen nicht dazu ein, Trainingseinheiten auf oder im ureigensten Terrain abzuspulen. Was tun?
 

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Einer, der sehr früh die Vorteile des Indoor-Trainings für sich entdeckt hat, ist Alexander Koop aus Kleinlinden. „Im Sommer fahre ich fast nie indoor, allerdings nutze ich vor allem bei Eis, Schnee, Wind und Dunkelheit dieses wetterunabhängige Wintertraining“, erklärt der Bundesliga-Master-Fahrer, der auch die „Zeitersparnis“ anführt, weil „Klamotten an- und ausziehen sowie das Rad putzen“ für die Indoor-Einheit entfallen. Auch fühlt sich der im Haus- und Fachärztezentrum Butzbach praktizierende Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin nicht den Gefahren des Straßenverkehrs ausgesetzt.

Moderne Technik revolutioniert Training

Auf das klassische Rollentraining mit einer mechanisch-analogen Standrolle konnten sich Radsportler wie Triathleten zwar schon immer zurückziehen, allerdings hat die moderne Technik das Training inzwischen revolutioniert.

Und da kommen die Trainingsplattformen ins Spiel, wobei wir uns hier auf Zwift konzentrieren wollen. Wer sich einen kostenpflichtigen Account mit seinen persönlichen Daten eingerichtet und das entsprechende Equipment mit Rollentrainer, Fahrrad, Computer/Laptop oder Tablet miteinander verbunden hat, kann relativ schnell in die virtuelle Welt eintauchen.

„Der wichtigste Vorteil sind punktgenaue wattgesteuerte Trainings und Trainingsprogramme, die man so draußen im Winter durch schwitzen, frieren und Nässe nicht optimal umsetzen kann. Indoor sind Einheiten in allen Varianten und Intensitäten möglich“, benennt Koop Gründe für sein engagiertes Training in den eigenen vier Wänden. Obschon der Mediziner auch regelmäßig außer Haus unterwegs ist, denn die „Grundlagenausdauer lässt sich auch locker mit dem Crosser, Mountainbike oder Gravelbike aufbauen“.

Fast keine Grenzen für Individualisierung

Natürlich ist das Fahren auf Zwift auch irgendwo eine Art Zwitter, angesiedelt zwischen Trainingssteuerung und Videospiel, allerdings ist hier der ganze Körper gefragt. Dabei sind der Individualisierung kaum Grenzen gesetzt. Wer will, fährt auf einem der vielen Kurse mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen in puncto Länge und Höhenprofil einfach seine Runden, ein anderer fährt seine Einheiten lieber mit Gleichgesinnten zusammen. An einem anderen Tag ist ein knallhartes Workout anhand der Trainingssteuerung angezeigt, auch bieten darüber hinaus Rennen und diverse Challenges mit verschiedenen Etappen reichlich Gelegenheit, seinen Avatar (grafischer Stellvertreter) auf Originalstrecken in London, New York oder Innsbruck sowie auf fiktiven Wegen in Watopia zu fordern. Selbst einen FTP-Test (Functional Threshold Power) lässt sich zur Ermittlung des Leistungsniveaus auf der Plattform fahren. Dabei ermittelt der ambitionierte Radfahrer jenen Wattwert, den er über die Dauer von einer Stunde treten kann. Mittels dieses Wertes lassen sich die individuellen Leistungsbereiche für eine optimale Trainingssteuerung ableiten, überdies auch für die Klassifizierung Watt pro kg Körpergewicht.

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Haken: Kosten nicht gering

Ein Nachteil dürfte durch einen Vorteil zwar nicht ausgeglichen, allerdings ein wenig relativiert werden. Denn die Kosten sind nicht gering, neben der monatlichen Gebühr von rund 15 Euro sollte auch in das Equipment investiert werden, und hier sind schon einmal schnell über 500 Euro für einen modernen Smart-Trainer fällig, um das Zwift-Angebot in seiner Bandbreite nutzen zu können. Während der ambitionierte Radfahrer in früheren Tagen auf seiner mechanischen Rolle allein vor sich hinstrampelte, findet er sich nun in einem großen Kreis Gleichgesinnter aus aller Herren Länder wieder und spart zumindest dahingehend, dass er „weniger Material verschleißt“, wie Koop einen weiteren Vorteil anführt. Outdoor, also draußen, will er eventuell an Ostern bei der Amateurversion von Paris-Roubaix rennaktiv sein, fest eingeplant sind kurze und harte Lizenzrennen sowie die Hessenmeisterschaft im Mai und die DM im Juni.

Nie war es also einfacher, effektiver und kurzweiliger, in den eigenen vier Wänden während der dunklen Jahreszeit sein Training für die kommende Saison abzuspulen. Die Zukunft hat längst Einzug gehalten in der Gegenwart. Der Winter als Zeit der einsamen Trainingseinheiten hat seinen Schrecken endgültig verloren.

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