Vom Traum zum Alptraum

Der 38. Ötztaler Radmarathon ist Geschichte – und für vier RV-ler und alle anderen Finisher hat er zudem (Wetter-)Geschichte geschrieben. Das Quartett Dagmar & Wolfgang Rinn, Gudrun & Alex Kopp freute sich monatelang auf das saisonale Highlight – und dann dass: Regen, Regen, nochmals Regen, Nebel mit Sichtweiten unter 20 Metern, und das Thermometer kratzte selten Gegenden über der 10-Grad-Marke. Hochsommer? Totale Fehlanzeige.Bereits am Vortag (Samstag) wurde die Stimmung durch die Kunde vom frisch eingeschneiten Timmelsjoch leicht getrübt, dennoch blieben unsere vier von der Radfahrervereinigung Gießen-Kleinlinden samt ihrer befreundeten Radsport-Kollegen Bernd Ruhland, Henning Puvogel und Michael Stöckel hoch motiviert.

Sonntagmorgen, um 6.00 Uhr ging es in den Startblock. In der Nacht hatten die Regenfälle aufgehört, die Straßen waren abgetrocknet, mit knappen acht Grad Celsius war es aber noch ganz schön frisch.

Um 6.45 Uhr böllern die Kanonen, während der Heli über uns schwebt. Dank ordentlich Adrenalin in den Adern, werden Kälte und Nervosität verdrängt – und es geht los mit einer Abfahrt über rund 30 Kilometer nach Ötz. Das gesamte Feld mit rund 4400 Teilnehmern zeigt sich mehr als nur nervös, bereits auf den ersten Kilometern ereignen sich die ersten Stürze, die Sancars eilen herbei.In Ötz angekommen, befreien wir uns von unseren dicken Klamotten, 1200 Kletter-Höhenmeter liegen nun vor dem Feld. Mit Rampen von bis zu 18 Prozent ist man nach rund 17 km am Kühtai auf etwa 2100 m.ü.N. angekommen. Und kurz nach Ötz regnete es, was der Himmel herzugeben imstande ist. Mehrfach müssen wir weit rechts fahren, während der Sani 
mit Tatütata an uns vorbeirauscht. Und zuletzt zieht auch noch Nebel auf, sodass man die erste Labestation am Kühtai kaum erkannt hat.Die Labestation lassen wir sprichwörtlich rechts liegen. Man zieht an, was man mit sich führen konnte, denn die anstehende teilweise sehr steile Abfahrt macht allen Fahrern schwer zu schaffen. Kollege Puvogel „Ich wusste nach wenigen Kilometern nicht mehr, ob ich weder Hände noch Füße hatte.“ Für unsere RV-Ladies stellte sich fast die Frage, ob man den Weg in den Besenwagen sucht. Die lange Abfahrt bis runter nach Innsbruck mit seinen fast 30 Kilometern verlangte viel an Konzentration ab. Zum Glück sahen wir am Horizont einen einzelnen Sonnenstrahl, das motivierte. Und es sollte noch besser werden. Der nächste Abschnitt Innsbruck-Brenner war durchweg trocken. Es reichte aus, um die Klamotten zu trocknen. Das Gefühl, „in Milchtüten zu stehen“, war endlich vorbei. Vorbei war jedoch auch, sich irgendwelche Gedanken um eine Topzeit zu machen.

Für den heutigen Tag gab es nur eine Devise, heil und gesund später wieder in Sölden anzukommen. RV-Präsi Wolfgang hatte von Anfang an den Ladies zugesichert, bei ihnen zu bleiben. Auf der Brennerpasshöhe mit weiteren 780 Klettermetern wartete die zweite Labestation. Pipipause, heiße Suppe und Redbull-Cola. Das macht hellwach für die Abfahrt runter nach Sterzing, wo sich am Horizont bereits das nächste Unwetter androhte.

Die nächste Kletterpartie von Sterzing auf den 2100 Meter hoch gelegenen Jaufenpass verschlang auf seinen 19 Kilometer weitere 1100 Höhenmeter. Und wie schon so oft, Petrus öffnet seine Schleusen und lässt es unermüdlich regnen. Auf der Passhöhe angekommen – die dritte Labestation. Für diese Station hatten unsere RV-ler per Gepäckservice einen Beutel samt Wechselgarnitur hinterlegen lassen. Diesen Service nahmen rund 1000 Gleichgesinnte ebenfalls in Anspruch, sodass es schier unmöglich war, an sein Gepäck zu kommen. Also ging es weiter, triefend nass, in die gut 20 Kilometer lange Abfahrt runter nach St. Leonhard, auf der wir den einzigen Schock verdauen mussten, als uns aus einem San-Car heraus Alex Koop „grüßte“. Für ihn war das Rennen genau in dieser Abfahrt zu Ende. „Bei Nebel und Sichtweiten, wo ich meine Hand nicht mehr vor Augen sah, machte es nur noch „Krach“, die Straße war zu Ende und ich bin stumpf in eine Wand gefahren“, so Alex später. Gabel gebrochen und zum Glück ist ihm außer ein paar Schürfwunden nichts weiter passiert.

Zum letzten Mal sammelt sich das Trio Rinn, Rinn & Koop am Fuße des Timmelsjochs, gemeinsam die letzten 1700 Klettermeter in Angriff zu nehmen. Auf der Südtiroler Seite schien die Sonne, also alle Klamotten aus und los ging es. 31 unermüdliche Kilometer warteten fortan. Der Schein trug, den kurz hinter St. Leonhard folgte der erneute Dauerregen, der einfach nicht mehr aufhören wollte. Die Temperatur rutschte erneut wie auf allen Passfahrten auf zwei Grad runter. „Bergauf ist einem das fast noch egal“, so Dagi, aber jeder Auffahrt folgt die Abfahrt – und es dauert nur wenige Kilometer, bis der Köper völlig ausgekühlt ist. Da helfen auch keine zwei Regenjacken samt Windweste mehr. Man kommt halt irgendwie mit schlotternden Knien und zum Glück heil an.

So auch am Sonntag in Sölden gegen 19.00 Uhr, wo Dagi und Wolfgang leicht erfroren, aber überaus glücklich, das Ziel erreichten. Eine knappe halbe Stunde später erreichte auch Gudrun voller Freude das Ziel, ihre Wege zum Team Rinn hatten sich in der Auffahrt auf das 2500 Meter hoch gelegene Timmelsjoch getrennt.Später, nach einer heißen Dusche, wo alle vereint den Abend gemeinsam ausklingen ließen, war man sich einig. Der ÖMR 2018 war ein Ereignis, der Geschichte geschrieben hat. Nach 238 Kilometern samt 5500 Höhenmetern war es eher eine Tortur denn eine Tour. Ob es zu einer erneuten Auflage in 2019 kommt, ist freilich noch offen. Fakt ist, dass härteste Eintagesrennen durch die Alpen verlangt von seinen Teilnehmern extrem viel ab. Gratulation an alle, die sich der Herausforderung gestellt haben.

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