Kein Sport in der Halle? Dann geht´s halt raus!

Wir dürfen nicht mehr in die Halle, dann geht es halt raus in die Natur. Allerdings nur noch zu zweit oder mit zwei Haushalten. Wohin? Zum Beispiel in den Wald auf den Trimm-dich-Pfad.

VON RONNY TH. HERTEUX
Das war’s. Raus aus der Halle, mindestens für den Rest dieses Jahres. Der Teil-Lockdown trifft auch jene, die sich während der letzten Monate reichlich Gedanken gemacht haben, wie ein geordnetes Training in der Kleingruppe zu bewerkstelligen ist. Ein Beispiel dafür – das ´Functional-Training` bei der RV 1904/21 Gießen-Kleinlinden ist gestrichen, wenngleich sich in der Turnhalle am Freibad die Teilnehmer großzügig aus dem Weg gehen können, das Lauftraining nur noch auf der Stelle stattfindet und Kräftigungs- wie Dehnübungen auf weit auseinander liegenden Matten vorgenommen wird. Damit ist es seit vier Wochen vorbei, und so dürfte es vielen Vereinen gehen.

Der Frust sitzt tief. Was haben die Verantwortlichen in den letzten Monaten unternommen? Zumindest sei es gestattet, einmal darüber nachzudenken. Statt das Personal in den Krankenhäusern und Pflegeheimen und das Busaufkommen für Schulkinder massiv zu erhöhen, oder beispielsweise Ansteckungshotspots wie private Massenfeiern und Großhochzeiten zu kontrollieren beziehungsweise zu unterbinden, wurden nun unter anderem Restaurants mit überzeugenden Hygienekonzepten oder auch die Sportvereine abgestraft. Als Weg des geringsten Widerstands für Entscheidungsträger landauf, landab? Politik auf Sicht, ohne Plan? Zurück zum Sport.

Die Radfahrer aus allen Vereinen zwischen Bad Vilbel und Alsfeld und hier speziell jene aus dem Functional-Training können sich zwar weiterhin draußen austoben, dennoch gehört zu einem umfassenden Training auch der Aufbau beziehungsweise Erhalt des Muskel-Skelett-Systems. Wer die Stütz- und Haltemuskulatur stärkt und anschließend auch noch ausreichend Dehnübungen einbaut, der wird weniger Probleme mit Gelenken und dem Rücken bekommen. Natürlich lässt sich dies auch alles allein zu Hause trainieren, dennoch sei hier der Slogan zitiert: »Sport im Verein ist am schönsten«.

Und so machen wir uns auf den Weg, zu viert aus zwei Haushalten, den neu herausgeputzten Trimm-dich-Pfad im Lindener Forst mit 20 Übungen zur üblichen Trainingszeit nicht wie gewöhnlich bei unseren Ausfahrten »unter die Räder«, sondern diesmal »unter die Füße« zu nehmen. Direkt hinter dem Sportheim der TSG Leihgestern beginnt der 2,1 Kilometer lange Rundkurs, und Interessierte werden nicht sich selbst überlassen. Ein großes Übersichtsschild weist zu Beginn den Weg, und bei jeder Übung wird auf Schautafeln die richtige Ausführung demonstriert. Kann ja eigentlich nichts schiefgehen, los geht’s.

Wir – Wolfgang, Dagmar sowie Christina und meine Wenigkeit – legen los. »Zurück zu den Wurzeln«, sagt Wolfgang, »jeder Ast, jede Wurzel, jeder Stumpf wird mit etwas Kreativität zum Trainingspartner.« Das stimmt, und zum Ende hin bei Einsetzen der Dunkelheit möglicherweise auch zur Gefahr, allerdings weisen uns Stirn- und Handlampen den Weg, damit wir auch wieder unversehrt zum Ausgangspunkt zurückkommen. Apropos Dunkelheit – da sind sich Christina und Dagmar einig: »Bei Dunkelheit würden wir uns nicht allein auf den Trimm-dich-Pfad wagen«, was durchaus nachvollziehbar erscheint. Überdies sollten ein Trimm-dich-Pfad wie auch MTB-Ausfahrten bei Dunkelheit nicht unbedingt allein in Angriff genommen werden. Wer sich schon einmal eine schmerzhafte Zerrung, ein gerissenes Band oder bei einem Sturz sogar einen Bruch zugezogen hat, der- oder diejenige möchte in einer solchen Situation nicht auf sich alleingestellt sein.

Schnell merke ich bei den ersten Übungen, dass ich in dieser Vierer-Konstellation wie beim Fahrradfahren benachteiligt bin, da ich die meisten Kilos auf die Waage bringe beziehungsweise nun im Lindener Forst in Bewegung halten muss. Doch es gibt kein Zurück, besonders im Herbst und Frühwinter werden nämlich die Grundlagen für die nächste Saison gelegt. Will heißen, dosierte Ausfahrten und vermehrt am und mit dem Körper arbeiten sind angesagt für das Hier und Heute, aber auch für das Morgen und Übermorgen. Beim Froschhüpfen über kleine Baumstämme rebelliert schon mal schnell der Oberschenkel, Armkreisen vor- und rückwärts hingegen stellt kein Problem dar. Besonders die Koordinationsübungen bereiten Freude, denn als ambitionierter Fahrradfahrer muss in jeder Gefahrensituation blitzschnell eine Lösung gefunden werden, um einen Crash oder Sturz verhindern zu können.

Sehr gut gelungen beim Lindener Trimm-dich-Pfad ist auch die Unterscheidung in Anfänger und Sportler, bei der Übung Kniebeugen werden je nach Belastbarkeit 2x 5 beziehungsweise 3x 15 Wiederholungen empfohlen. Ein weiteres Bild auf der Tafel informiert darüber, welche Körperpartien besonders beansprucht (rot markiert) werden. Zudem werden die Übungen mit Bild und Text erläutert. Neben Aufwärmen und Koordination sind es die mit Kraft umschriebenen Übungen, die einen so richtig fordern. Kniebeugen mit Holzstangen auf den Schultern, aber auch Liegestütz auf einem Baumstamm lassen einen in Mutter Natur eintauchen. »Allein der Unterschied beim Liegestütz – statt auf einer stinkigen Gymnastikmatte zu liegen, nun den Geruch von frisch verregnetem Waldboden zu inhalieren, das aktiviert alle sensitiven Sinne«, ist sich Wolfgang sicher, dass »Trimm dich auch nach Corona fester Trainingsbestandteil bleiben« wird.

Zumal der Spaß nie zu kurz kommt. Sei es, dass ich bei der Hangelstation, auch »dank« einer Schulteroperation, nur ein oder zwei Sprossen weit komme und zu Boden plumpse, oder wir beim Balancieren auf einem etwas glitschigen Baumstamm nach kurios anmutenden Verrenkungen seitlich ins feuchte Laub abstürzen.

Text: R. Herteux, Bilder. R. Herteux, W. Rinn

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