Ein Lindener mittendrin

Unser Vereinsmitglied Arie Schindler hat ereignisreiche Tage im österreichischen Leogang verlebt. Nicht als Tourist und Wanderer, sondern als Teil der deutschen Downhill-Nationalmannschaft. Seine Fähigkeiten als Mechaniker waren einmal mehr gefragt. Nachfolgend ein Bericht von Ronny Th. Herteux aus der „Gießener Allgemeinen Zeitung“.

Der Höhepunkt einer jeden Saison ist die Weltmeisterschaft. Keine Frage, wenn die besten Fahrer aus allen Kontinenten zusammenkommen, verdient dies erhöhte Aufmerksamkeit. Bei den Zuschauern, Teilnehmern, Organisatoren – aber auch bei denen, die eher im Hintergrund tätig sind, wenngleich Wohl und Wehe auch in deren Händen liegt: die Mechaniker. Arie Schindler aus Linden ist einer von ihnen, der schraubt, werkelt, betreut und doch mittendrin im Geschehen ist. So auch diesmal bei der Weltmeisterschaft in Leogang. Denn trotz Corona-Pandemie hatte sich der Weltverband UCI entschieden, den schnellsten aller Mountainbiker zu küren, nämlich den Downhill-Weltmeister.
Der 29-Jährige von der RV Gießen-Kleinlinden hat ein eigenes Radsport-Geschäft inklusive einer Postagentur in Großen-Linden und war selbst jahrelang aktiv in der Downhill-Szene. Nach über 15 Jahren mit Welt- und Europacup-Einsätzen legte er 2016 »aus privaten Gründen« eine Pause ein. In der Vorbereitung auf die 2019er Saison zog sich Schindler allerdings eine schwere wie komplizierte Verletzung an der rechten Hand zu, noch heute »muss ich mich mit Reha beschäftigen, weshalb ich immer noch nicht ins Renngeschehen eingreifen kann.«
Doch die Liebe zu seinem Sport hat er nie verloren, zumal er schon 2018 bei der WM in der Schweiz als Mechaniker für die deutsche Nationalmannschaft dabei sein durfte. Offenbar war der Verband mit seinem Wirken zufrieden und lud ihn für 2019 erneut ein, allerdings war »ich zu diesem Zeitpunkt noch mit der Rekonstruktion meines Handgelenkes beschäftigt«. Nun, in diesem Jahr war es wieder soweit – die WM im österreichischen Leogang stand auf dem Programm.
Schindlers Aufgaben waren klar umrissen: »Ich habe mich ausschließlich um die deutsche Downhill-Nationalmannschaft gekümmert. Dies beinhaltete an erster Stelle die Betreuung der Sportler bei technischen Belangen und die Koordinierung des Materialtransfers auf den Berg.« Da ein Kaltstart auch bei den Downhillern nicht zu empfehlen ist, »fährt man sich vor dem Start warm. Ich habe dafür gesorgt, dass die Rollen rechtzeitig oben am Berg waren, die Sportler all dass hatten, was sie zum Warm-Up benötigten, und natürlich habe ich auch genug Werkzeug mitgeführt, um gegebenenfalls noch letzte Änderungen vor dem Start vorzunehmen.« Denn nicht selten wird noch vor dem Rennen das ursprünglich gewählte Set-up geändert, »zum Beispiel durch den Einbau eines anderen Radsatzes.«
»Schon beim Trackwalk, dem Ablaufen der Strecke vor dem Training, war mir klar, dass durch die Art und Weise, wie der Kurs abgesteckt war, eine extrem anspruchsvolle Strecke« auf die Mountainbiker wartete. »Der Regen verwandelte den Kurs in eine matschige Rutschbahn, und bereits im Training bekamen einige Fahrer ihre Grenzen aufgezeigt.«
Allerdings wurde Schindler Zeuge einer »seltsamen Stimmung, denn das Flair einer WM kam nicht ansatzweise auf«, zeigte sich der Lindener nicht enttäuscht, aber doch etwas ernüchtert. »Durch sehr strenge Corona-Maßnahmen war der Kontakt zu anderen Nationalteams untersagt. Selbst wir als deutsche Mannschaft wurden strickt nach Disziplin getrennt. Es waren viele Security-Arbeiter eingesetzt, und bei einem Verstoß gegen die Maskenpflicht wurden empfindliche Geldstrafen verhängt. All diese Faktoren führten dazu, dass sich jedes Team im wahrsten Sinne des Wortes verschanzte und untereinander kein Kontakt stattfand.« Nur gut, dass der Lindener alle Hände voll zu tun hatte und sich von derlei Gedanken nicht runterziehen ließ: »Durch die extrem matschigen Verhältnisse wurden die Rennmaschinen bis zum Äußersten belastet, und so hatten wir mit einigen Materialdefekten zu kämpfen, was für mich als Mechaniker in Überstunden mündete.«
Allerdings galt es nicht nur, die Bikes bestens auf die Rennen vorzubereiten, auch die Teilnehmer mussten sich auf Betriebstemperatur bringen. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt in der Höhe »war es um so wichtiger, alle Muskeln für den Wettkampf geschmeidig zu bekommen. Wir haben zu Spitzenzeiten mit drei Rollen gleichzeitig gearbeitet.« Weitblick bewies dabei die UCI, die ein großes beheiztes Festzelt zu Verfügung stellte.
Trotz aller individueller Klasse setzten den WM-Teilnehmern die unberechenbaren Bedingungen zu, erst recht durch heftige Regenfälle in der Nacht vor den WM-Finals. »Beim Versuch, den größten Sprung der Strecke zu bewältigen, stürzte Titelfavoritin Valentina Höll schwer und musste mit einer Knöchelverletzung alle Hoffnungen auf das Weltmeistertrikot begraben.« Natürlich hat dies auch den anderen Teilnehmern einen Schrecken versetzt, denn an ein einigermaßen geregeltes Downhillen war kaum zu denken.
»Viele Topfahrer stürzten im letzten Stück nach hervorragenden Zwischenzeiten im oberen Teil der Strecke. So kam es, dass am Ende des Tages mit Reese Wilson (England) und Camille Balanche (Schweiz) zwei Weltmeister gekrönt wurden, die zuvor niemand auf der Rechnung hatte.
Für den Lindener war es eine intensive WM mit »einem immensen Leistungsdruck, wenn Fahrer einen Defekt in der sehr knapp bemessenen Trainingszeit hatten«. Auch für Schindler war dies keine normale WM, weil wir einen »sehr regen Austausch mit den Sportlern gehabt haben, da viele mit solchen Begebenheiten selten zu tun hatten und daher den Rat eines Mechanikers suchten.«
Es sollte sich auszahlen, mit Raphaela Richter (6.), Nina Hoffmann (7.) und Sandra Rubesam (10.) sowie Johannes Fischbach (9.) platzierten sich bei fünf Grad Celsius vier deutsche Teilnehmer in den Top 10. Gern möchte er auch 2021 wieder dabei sein, als Mechaniker bei der WM und vielleicht auch wieder als Aktiver bei nationalen Downhill-Rennen.

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